Die Größen der Technik
<< zur NamenslisteHenry Bessemer
Henry Bessemer kommt am 19. Januar 1813 in Charlton, einem Londoner Arbeiterviertel im Vorort Greenwich, auf die Welt. Sein Vater ist Schriftgießer, und Henry lernt in seiner Werkstatt die Schriftgießerei. Als er 17 Jahre alt ist, zieht die Familie nach London um. Er entwickelt großen Erfindergeist und verbessert und optimiert ganz unterschiedliche Verfahren, Geräte oder Produkte. So stellt er fälschungssichere Stempelmarken her – durch gefälschte Stempelmarken erleidet die englische Krone jährlich beträchtliche Verdiensteinbußen - verabsäumt es aber, die Erfindung eintragen zu lassen und hat daher selbst keinen Gewinn daraus.Der Erfinder aus Neugier
Als Schriftgießer macht er sich einen Namen durch die hohe Qualität seiner Lettern, gleichzeitig interessiert er sich auch für die Legierungen, aus denen die Typen hergestellt sind, und experimentiert mit Schmelzpunkten. Als ein Samtfabrikant ihn beauftragt, ein Verfahren zu finden, mit dem man Samt mit einer dauerhaften Pressung versehen kann, erfindet Bessemer mit gerade 20 Jahren die geheizten Samtpresswalzen. Die Temperatur bestimmt er, indem er Metallkegelchen aus unterschiedlichen Legierungen mit einem Schmelzpunktabstand von 10 C° aneinanderreiht.
Dieses Ölbild von Rudolf Lehmann hängt im Iron and Steel Institut in London.
Auf einer Reise nach Deutschland wird Bessemer einmal fast in ein Nürnberger Gefängnis gesperrt, weil ihm vorgeworfen wird, in einer Fürther Bronzemanufaktur Betriebsgeheimnisse ausspionieren zu wollen. Er kann vor Gericht darlegen, dass er erstens kein Wort deutsch spricht und so die Bestechung nicht hätte vornehmen können, und er zweitens durch den Einsatz seiner Maschinen mit der Hilfe von drei Angestellten gleich viel Bronzestaub herstellen kann wie die Manufaktur mit 80 Arbeitern und er daher von der Bestechung also nichts hätte. Er wird freigelassen, muss aber eine Eskorte von 2 Uniformierten akzeptieren, die ihn während des gesamten Aufenthalts in Bayern begleiten, bis er über die Preußische Grenze fährt.
Der professionelle Erfinder
In der ersten Weltausstellung, die 1851 in London stattfindet, ist Bessemer mit einer Apparatur vertreten, die mittels Zentrifugalkraft Melasse von kristallisiertem Zucker trennt. Bessemer ist bei der Aufstellung der Maschine lange vor der Ausstellungseröffnung dabei und trifft dort einen alten Freund, der ihn fragt: „Warum zeigst du nicht lieber die Zentrifuge, mit der du viel Wasser rasch nach oben befördern kannst, die du dir früher mal ausgedacht hast? Die Leute werden das spannender finden als deine Zuckerschleuder. Sie werden deinen riesigen künstlichen Wasserfall lieben.“ Also zeichnet er die Maschine und lässt sie binnen kürzest bauen, so dass sie gerade noch vor der Eröffnung aufgestellt werden kann. Der Erfolg gibt ihm Recht, die zentrifugale Wasserhebekunst ist eine der meistbestaunten Apparaturen der mechanischen Abteilung.
Modell des Bessemer-Saloons in Bessemers Garten.
Schnitt durch den Bessemer-Saloon bei schwerer See
Die Initialzündung, Rückschlag und Durchstarten
Zur Zeit des Krimkriegs (1853 – 1856) - einem Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, an dem auch Großbritannien und Frankreich beteiligt sind, um zu verhindern, dass sich Russland auf Kosten des zerfallenden Osmanischen Reiches (Stichwort der kranke Mann am Bosporus) an strategisch wichtigen Stellen in Europa ausbreitet - wendet sich das allgemeine Interesse stark der Artillerie zu. So auch das Henry Bessemers, der an einer Führung von Geschossen durch Drehbewegung in der Längsachse arbeitet. Er richtet eine Versuchswerkstatt ein und verwendet viel Zeit und Geld auf seine Versuche, die erst nach zwei Jahren ein Ergebnis zeitigen, nämlich die Umwandlung von Gusseisen zu Gussstahl.
"I had an immense advantage over many others dealing with the problem inasmuch as I had no fixed ideas derived from long-established practice to control and bias my mind, and did not suffer from the general belief that whatever is, is right."
Henry Bessemer
Henry Bessemer
Bessemer-Stahl lässt sich, wie von ihm gewünscht, entweder durch Guss oder mechanisch verformen.
Bessemer-Converter, Museum, Sheffield
Der Leobner Eisenhüttenmann Peter Tunner macht sich sehr um das Bekanntwerden des Bessemerverfahrens im deutschsprachigen Raum und seinen Einsatz in der Steiermark verdient: Auf der zweiten allgemeinen Versammlung der Berg- und Hüttenleute am 24. September 1861 in Wien setzt sich Tunner für das Bessemern ein, ein Begriff, den er selbst geprägt hat. Am 19. November 1863 wird auf sein Geheiß erstmalig in der Habsburgermonarchie das Bessemerverfahren in Turrach eingeführt. Tunner schätzt auch von Anfang an die Bedeutung der Thomasbirne (1878) richtig ein, nachdem er selbst bereits seit Anfang der 60er Jahre theoretische Überlegungen zur Überwindung des Phosphors beim Bessemern anstellt.
Das Bessemer-Verfahren
Ein Bessemer-Converter. links unten beim Frischen (Luft-Durchblasen)
Das Bessemer-Verfahren ist eine Methode zur Umwandlung von Roheisen in Stahl. Roheisen ist sehr kohlenstoffhältig und daher extrem brüchig und nicht schmiedbar. Sobald der Kohlenstoffgehalt des Eisens unter 2 % sinkt und es dadurch schmiedbar wird, spricht man von Stahl. Die Entkohlung des geschmolzenen Eisens erfolgt durch Oxidation: Der Kohlenstoff im Eisen wird durch das Zuführen von Luft gebunden und entweicht als CO2.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschieht dies vor allem durch das Puddeln, ein Verfahren, das 1784 vom Briten Henry Cort erfunden wird: Auf einem Holzkohlenofen befindet sich eine Pfanne, in der Eisenteig unter häufigem Rühren mit langen Stangen (to puddle) bearbeitet wird. Durch das Rühren wird das Roheisen durch die Berührung mit den sauerstoffhaltigen Verbrennungsgasen „gefrischt“, der Kohlenstoff wird verbrannt. Mehrere starke Männer müssen 24 Stunden lang offen liegendes teigiges Eisen bearbeiten (der Schmelzpunkt von Eisen liegt bei 1150° C, der von Stahl gar bei 1530° C. Abgesehen davon, dass mit Holzkohle diese Temperaturen kaum erreicht werden können, stelle man sich die Hitze und die Arbeitsbedingungen vor), bis die daraus entstehenden Luppen weiterverarbeitet werden können. Die aus den Luppen weiter gefertigten Produkte werden als Schweißeisen bezeichnet. Während des Puddelvorgangs muss der Ofen ständig befeuert werden, was sehr viel Brennmaterial verbraucht. Mehr als 300 kg können in einem Arbeitsgang nicht hergestellt werden. Dieses Verfahren braucht sehr viel Kraft und erfahrene Puddler, die Qualität des Eisens hängt von der Geschicklichkeit der Arbeiter ab.
Der Text zu diesem Bild lautet: Solid Steel Column. 6684 feet 6 inches in height and 100 feet in diameter. Representing the Worlds production of Bessemer Steel in the year 1892. Accurately to scale of 1 inch : 1000 feet Das Referenzgebäude links ist die St. Paul´s Cathedral
Beim Bessemerverfahren hingegen wird das Roheisen in ein mit Quarzsand ausgekleidetes birnenförmiges Gefäß gegossen („Bessemer-Birne“ oder Converter) und dort mittels Zufuhr von kalter Luft gefrischt. Der ganze Vorgang dauert nur 10 – 15 Minuten und erfordert zur Durchführung weder großes Geschick noch reiche Erfahrung. Durch das Bessemer-Verfahren kann Stahl, nun als (flüssiger) Flussstahl, in großen Mengen hergestellt werden. So beträgt die Stahlproduktion nach dem Bessemer-Verfahren am Kontinent (vor allem Ruhrgebiet, aber auch Frankreich, Steiermark und Witkowitz) im Jahre 1865 etwa 100.000 Tonnen.
Bessemer-Converter beim Frischen. Hier entstehen 3000 kg Flussstahl in 15 Minuten.
Ehren und Würden
Henry Bessemer, Vorsatzblatt aus seiner Autobiographie, die posthum 1905 erscheint
Die Familie Bessemer wohnt in einem palastähnlichen Anwesen in Denmark Hill mit einem weitläufigen Park, direkt auf der Anhöhe, wo Henry in seinen späten Jahren ein Observatorium errichten lässt. Das Haus selbst ist mit vielerlei Kunstgegenständen ausgestattet und Wände und Böden sind mit Mosaiken bedeckt. Henry Bessemer stirbt am 15. März 1898, ein knappes Jahr nach seiner Frau, mit der er 64 Jahre verheiratet war und drei Kinder hat. Er wird vor allem in den jüngeren Jahren als streitbar seinen Gegnern gegenüber geschildert, aber gleichzeitig von einer großen Herzlichkeit, mit der er beispielsweise auf Thomas´ Lösung des Phosphorproblems reagiert. Er ist am West Norwood Cemetery begraben, wo auch der Gründer der Tate Gallery liegt.