Die Größen der Technik

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Charles Lyell

Charles Lyell ist das erste Kind des Schotten Charles Lyell, Esquire of Kinnordy, und der Engländerin Frances Smith, einzige Tochter des Thomas Smith, Esquire of Maker Hall, Swaledale, und wird am 14. November 1797 auf dem Familiensitz Kinnordy geboren. Die adeligen Eheleute haben nach ihm noch weitere neun Kinder, nämlich sieben Töchter und zwei Söhne. Der Vater ist Absolvent der Universität Cambridge, übersetzt Dante und züchtet seltene Pflanzen. Die Moosgattung Lyellia ist nach ihm benannt. Charles junior, dessen Liebe zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen schon früh gefördert wird, beginnt mit 10 Jahren eine Insektensammlung anzulegen, ein Hobby, dem er sein Leben lang frönen wird. Charles wächst in seiner Kindheit im wesentlichen an zwei Orten auf, die geologisch völlig unterschiedlich sind: im Grabental gegenüber den schottischen Highlands und im heutigen New Forest National Park an der englischen Südküste.


Nach dem Besuch von Privatschulen geht er nach Oxford ans Exeter College und schließt dort das Studium der Juristerei ab. Anschließend tritt er in die renommierte Londoner Juristengesellschaft „Lincoln´s Inn“ ein, wo er einige Jahre in den westlichen Bezirken tätig ist. Da aber keinerlei finanzielle Notwendigkeit besteht, sein Leben mit Geldverdienen zu verbringen, legt er 1827 seine berufliche Tätigkeit nieder und gibt sich ganz seiner Neigung hin: der Geologie.  

Bereits 1819, noch während seiner Ausbildung zum Juristen, tritt er der Linné-Gesellschaft und der Geologischen Gesellschaft bei, wo er als Sekretär ehrenhalber arbeitet und seine erste Veröffentlichung vorstellt. Auf einer Frankreichreise 1823 lernt er neben anderen Wissenschaftlern auch Georges Cuvier und Alexander von Humboldt kennen und unternimmt im folgenden Jahr eine geologische Reise nach Schottland, wo er von seinem Lehrer William Buckland begleitet wird, der in diesem Jahr sein Buch Reliquiae diluvianae herausbringt, in dem er die Entstehung der Welt ganz nach dem biblischen Schöpfungsbericht aus einem Urmeer erklärt – eine Ansicht, der der junge Lyell auch noch anhängt, die er jedoch bereits 1830 in seinem Hauptwerk Principles of Geology völlig geändert hat und das sofort zum Hauptgespräch in der Gelehrtenwelt wird.

Principles of Geology

Als Charles Darwin 1831 an Bord der HMS Beagle geht, um forthin fünf Jahre unter seiner Seekrankheit zu leiden, hat er den ersten Band von Charles Lyells frisch erschienenem Hauptwerk im Gepäck. Er ist so begeistert, dass er sich die beiden weiteren Bände, die 1832 und 1833 erscheinen, an die zukünftig angesteuerten Hafenstädte nachsenden lässt.


Das Frontispiz von Priciples of Geology 1830 zeigt die Säulen des Tempels von Pozzuoli, die in der Mitte mit Muscheln besetzt sind, als Beispiel für den veränderlichen Meereswasserspiegel. Dieser Stich aus einer amerikanischen Auflage 1865 stammt von Whitney Jocelyn Annin und zeigt die Ansicht von Pozzuoli 1836

Was schreibt Lyell, das Darwin und viele andere dermaßen fasziniert? Das Frontispiz zeigt die drei Säulen des Serapis-Tempels in Pozzuoli nahe Neapel. Dieser Tempel ist heute knapp 2000 Jahre alt und weist in einer Höhe von 3,6 m ein Band von Bohrmuschellöchern auf, was beweist, dass sich die Erde in den 1800 Jahren zwischen der Errichtung des Tempels und Lyells Gegenwart, erdgeschichtlich gesprochen also binnen kürzester Zeit, bis deutlich unter den Wasserspiegel gesenkt und wieder gehoben haben muss. Also nicht: Die Erde wurde in einem (möglicherweise göttlichen) Schöpfungsakt erschaffen und ist seither gleich, sondern: wenn ein Mensch mehrere Menschenleben gelebt hätte, hätte er zuschauen können, wie sich die Erde in dieser Zeit bewegt, geformt hat. Wir sind Zeugen eines sich ständig verformenden Erdgestaltungsprozesses.

Die Hauptthese Lyells in den Principles of Geology wird im wesentlichen bereits durch den Untertitel des Werkes gegeben: „An attempt to explain the former changes fo the Earth´s surface by reference to causes now in operation“: Der Schlüssel zur Vergangenheit liegt also in der Gegenwart. Geologische Formationen, so Lyell, sind aus der Beobachtung heutiger geologischer Prozesse, wie sie sich in der Gegenwart abspielen, erklärbar.

Das ist nicht ganz neu, denn bereits 1785 stellt James Hutton die Theorie auf, dass die Erde durch gleichförmiges Abwechseln geologischer Prozesse ihre Gestalt erhalten hat, die durch kontinuierliche Zerstörung und Schöpfung entstanden ist: Kein Anfang, kein Ende in Sicht. Allerdings war Hutton seiner Zeit voraus, und seine These blieb weithin unbeachtet.

Das hat auch damit zu tun, dass diese eine Entstehung der Erde in vorbiblischer Zeit annimmt, und das entspricht nicht dem guten Christenglauben. Deshalb huldigt die Zeit eher der Theorie des Katastrophismus, die von Georges Cuvier formuliert wird: die Erdkruste und das Leben auf ihr wird immer wieder durch lokale Katastrophen ausgelöscht, neu geformt und wieder besiedelt. Der biblische Sintflut-Bericht mit der Errettung der Arten durch den Bau der Arche Noahs wird als die letzte dieser Katastrophen angesehen.

Der Gedanke der Gleichförmigkeit, der Uniformität, den Lyell in den Principles darlegt, besteht aus vier voneinander unabhängigen Theoremen, nämlich

  • der Einheit des Gesetzes: Die Gesetze, denen die Natur gehorcht, sind zu jeder Zeit konstant.
  • die Einheit des Prozesses: Die Geologie der Vergangenheit erklärt sich aus der Geologie der Gegenwart
  • Einheit der Art: Vergangene und gegenwärtige Auslöser sind gleich, haben die gleiche Energie und die gleichen Auswirkungen
  • Einheit des Ausmaßes: Geologische Umstände haben sich mit der Zeit nicht geändert.

Daraus ergibt sich der Schluss, dass die Erde und die Schöpfung viel älter sein müssen als man bisher aus der Bibel errechnet hat, was die bereits 1785 von James Hutton beschriebene gewaltige Kluft zwischen der menschlichen und der geologischen Zeitskala bestätigt.

Die beiden Termini Katastrophismus und Uniformitarianismus stammen übrigens vom selben Wortschöpfer wie die beiden Antipoden Anode und Katode, die der englische Gelehrte William Whewell extra für Michael Faraday ersonnen hat.

 

Wirkung

Damit gelten die beiden Schotten Charles Lyell und James Hutton, die sich übrigens nie kennengelernt haben, als Begründer der modernen Geologie. Zwar sind einige von Lyells Ansichten nach dem heutigen Stand des Wissens überholt, aber die heute noch gebräuchlichen Bezeichnungen Eozän, Miozän und Pliozän zur Einteilung der erdgeschichtlichen Epoche des Tertiärs stammen von ihm.


Frontispiz des 3. Bandes aus 1833, nach einer Handskizze von Lyell. Die Farben zeigen eine idealtypische Verteilung der verschiedenen Gesteinsarten.

Obwohl er die allmähliche Entstehung der Erdgestalt durch gleichbleibende und unausgesetzte Veränderung lehrt, ist Lyell bis zum Ende seines Lebens von der Unveränderlichkeit der Arten überzeugt. Zwischen seinem ersten Buch der dreibändigen Principles of Geology 1830 und seinem letzten, Antiquity of Man 1863, liegen nicht nur 33 Jahre, sondern auch ein Gesinnungswandel, den Lyell jedoch nur ungern vollzieht. Mehrmals in seinem Leben wird er aufgrund der normativen Kraft des Faktischen gezwungen, vormals angefochtene oder angezweifelte Theorien anzuerkennen, wie die Evolutionstheorie des eingangs erwähnten Charles Darwin oder die Eiszeittheorie von Louis Agassiz, nach der der Großteil der nördlichen Hemisphäre im Pleistozän (also schon im beginnenden Quartär) von Eis bedeckt war, was seiner Hypothese einer gleichbleibenden Erde widerspricht. In seiner letzten Veröffentlichung macht er denn auch nur laue Zugeständnisse an die Veränderlichkeit der Arten und die Existenz der Evolution, was ihm von fortschrittlicheren Zeitgenossen häufig zum Vorwurf gemacht wird und ihm sozusagen „zur Strafe“ bis heute die zweifelhafte Ehre einträgt, von den Kreationisten zitiert zu werden.

Von 1831 – 1833 ist Lyell Professor für Geologie am King´s College in London. Charles Lyell ist, im Gegensatz zu dem häufig in einem Atemzug genannten Georges Cuvier, ein äußerst weit gereister Mann, der überall versucht, seine Erkenntnisse zu vertiefen, zu bestätigen oder zu differenzieren. So macht er 1834 eine Exkursion nach Schweden und bald drauf eine nach Norwegen und Dänemark, weiters zwei große ausgedehnte Reisen nach den USA und Kanada, besucht Nova Scotia, die Niagarafälle, das Mississippi-Delta und einen Sumpf in North Carolina, war in Madeira, Teneriffa und Sizilien. Jede der 11 Neuauflagen seiner Principles of Geology erweitert er um die neuesten Erkenntnisse, die er auf seinen Reisen gewinnt.

Person und Angedenken

Lyell hat einen trockenen Humor, wie man einem Brief vom 13. Februar 1837 an Darwin entnehmen kann, wo er sich über die Diluvialisten lustig macht: „… that new continent (er meint Südamerika), which was heaved up, à un seul jet, Anno mundi 1656 …“. Die Diluvianisten glauben an die Bibel als naturwissenschaftliches Werk und folgen im Datum der Erschaffung der Welt dem Bischof James Ussher, der dieses 1654 auf den 23. Oktober 4004 vor Christi festgelegt hat.

Charles Lyell heiratet 1832 Mary Horner. Die Flitterwochen verbringen sie mit einer geologischen Kreuzfahrt am Rhein und in der Schweiz. Die Ehe bleibt kinderlos, so dass die Tradition, dem Erstgeborenen wiederum den Namen Charles zu geben, unterbrochen wird. Der heute lebende Baron Charles Lyell ist der Urgroßneffe des hier portraitierten Charles Lyell.


 Charles Lyell wird als freundlicher Mensch mit ausgezeichneten Umgangsformen beschrieben, von großem Wissensdurst, ausgeprägter Fairness, profunder Urteilskraft und wachem Geist. Er wird 1826 zum Fellow of the Royal Society gewählt und erhält sowohl die Copleymedaille als auch die Royal medal, ist korrespondierendes Mitglied von französischen und preußischen Wissenschaftsgesellschaften und Träger des Ordens Pour le Mérite. Er wird 1848 zum Ritter geschlagen und 1864 zum Baronet gemacht. Gegen Ende seines Lebens verlässt ihn seine ohnehin immer schon schwache Sehkraft ganz. Charles Lyell stirbt zwei Jahre nach seiner Frau am 22. Februar 1875 und ist in der Westminster Abbey begraben. Er ist Stifter der Lyell-Medaille, die jährlich vom Rat der Geologischen Gesellschaft in London für außergewöhnliche Verdienste in den Erdwissenschaften verliehen wird. Sowohl ein Mondkrater als auch ein Berg und ein Gletscher im Yosemite National Park in Kalifornien tragen seinen Namen, auch eine ehemalige Goldgräberstadt in Neuseeland und eine Insel in der Queen Charlotte Inselgruppe vor British Columbia, Kanada.