Die Größen der Technik

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Ferdinand Jakob Redtenbacher

1809 – ein besonderes Jahr
1809 ist ein sehr ereignisreiches Jahr in der österreichischen Geschichtsschreibung: Österreich erklärt dem napoléonischen Frankreich den Krieg, weil es auf einen Schlag den Frieden von Pressburg rückgängig machen möchte, eine Annäherung an Russland und Preußen anstrebt und die Vorherrschaft Frankreichs in Europa zu beenden hofft.


Denkmal, enthüllt am 2. Juni 1866 in Karlsruhe, Festrede von seinem Nachfolger als Professor für theoretische Maschinenlehre an der TH Karlsruhe, Franz Grashof
Dieser sogenannte 5. Koalitionskrieg geht jedoch aus österreichischer Sicht in die Binsen: Der zunächst erwünschte Volksaufstand in Tirol unter Andreas Hofer gegen die bayrisch-französische Besetzung wird niedergeschlagen. Nach dem Sieg bei Aspern unterliegt die österreichische Armee bei Wagram den französischen Truppen, und im Oktober 1809 muss der österreichische Kaiser Franz I. dem Frieden von Schönbrunn zustimmen, was ihn 3,5 Mio. Untertanen auf 100.000 km² und erhebliche Kontributionszahlungen kostet. Wenige Tage vor der Friedensunterzeichnung löst der österreichische Gesandte in Paris, Clemens Wenzel von Metternich, Graf Stadion als Außenminister ab und behält diese Machtstellung fast 40 Jahre lang. Eine seiner ersten Taten ist die Verheiratung der ältesten Kaisertochter Marie-Louise mit Napoléon, was jedoch nicht zu den erhofften Vorteilen führt.

Auch die Schleifung des Grazer Schlossbergs ist eine unmittelbare Folge des Friedensvertrags von Schönbrunn.

Aber ein Positivum für Graz darf vermerkt werden: Weil Erzherzog Johann als Mitglied des Alpenbundes in die Tiroler Widerstandsvorbereitungen deutlich involviert ist, verbietet ihm sein kaiserlicher Bruder jeglichen Aufenthalt in Tirol. Diesem Umstand verdankt Graz die Gründung des Joanneums, denn Johann ist 1809 drauf und dran, seine Mineraliensammlung den Tiroler Landständen zu übergeben und seine damit verbundene Lehranstalt in Innsbruck zu gründen.
Leben

Lithographie aus 1849 von Hubert Mayer, die eine sehr starke Ähnlichkeit haben soll, während politischer Gespräche entstanden.
In dieses politische Ambiente wird in Steyr am 25. Juli 1809 Ferdinand Jacob Redtenbacher geboren. Der Vater hat Voiths Eisenhandlung in Steyr geerbt und ist ein angesehener Kaufmann. Josef Redtenbacher, Erbauer des Chemischen Instituts in der Wiener Währingerstraße, ist Ferdinands Cousin aus Kirchdorf und der Bruder seiner späteren Frau Marie.

In seinen jungen Jahren scheint Redtenbacher keinem Streich abgeneigt gewesen zu sein, der Schule hingegen schon. Entsprechend beginnt er im Alter von 11 Jahren bei einem Onkel eine Kaufmannslehre. Ob er diese abschließt oder nicht, ist unklar. Die gesicherte Überlieferung setzt wieder im Jahr 1825 ein, wo er einige Monate als Planzeichner und zur Aushilfe bei geometrischen Aufnahmen in der k. k. Baudirektion in Linz beschäftigt ist.

Im Herbst 1825 dann tritt er ins zehn Jahre zuvor gegründete Polytechnikum in Wien ein, ab 1827 hört er parallel dazu auch Vorlesungen an der Universität. Seine Einstellung zum Lernen hat sich gehörig gewandelt.

Redtenbacher hört unter anderem Vorlesungen bei Georg Altmütter, Simon Stampfer und den beiden ehemaligen Joanneumslehrern Friedrich Mohs und Johann Philipp Neumann. Johann Arzberger holt den begabten Studenten, der die Tentamina mit Auszeichnung besteht, als Assistenten zu sich. (Tentamina sind öffentliche Prüfungen, zu denen nur eine handverlesene Schar Auserwählter überhaupt zugelassen werden.) Die Assistentenzeit ist auf 4 Jahre beschränkt und kann nicht verlängert werden. Eine höhere Laufbahn in Österreich ist ihm aufgrund seiner fehlenden akademischen Weihen verwehrt.

So geht Redtenbacher 1834 als Lehrer für Mathematik und geometrisches Zeichnen an die obere Industrieschule in Zürich und bekommt ab 1835 Gelegenheit, sich bei der Maschinenfabrik Escher & Wyss mit der Praxis des Maschinenbaus vertraut zu machen und dort unter den Augen des Firmenchefs Hans Caspar Escher Testreihen und Versuche zu machen, die die Grundlagen seiner wissenschaftlichen Publikationen werden. In seiner Züricher Zeit macht Redtenbacher auch viele Ausflüge in die Umgebung zu Herstellern von Wasserrädern, Turbinen und Dampfmaschinen, deren Ergebnisse in seine wissenschaftlichen Publikationen einfließen.

Ferdinand Redtenbacher heiratet im Jahre 1837 seine Cousine Marie Redtenbacher aus Kirchdorf, wo er so viele Sommer zugebracht hat. Noch in Zürich werden ihre beiden Kinder geboren, Marie und Rudolf.

Im Juli 1840 erhält er einen Ruf an die polytechnische Schule in Karlsruhe und erwirkt in den Berufungsverhandlungen, dass dem Curriculum ein neuer Cursus in Maschinenbau hinzugefügt wird. Redtenbacher ist mit seiner beruflichen Situation in Karlsruhe zufrieden und schreibt an Freunde, dass er vieles nach seinen Vorstellungen einrichten konnte. Das Leben in Karlsruhe hingegen erscheint ihm „über alle Maßen langweilig und platt“. Er unternimmt einige Reisen in industrielle Ballungszentren, so ins Elsass, in die Niederlande und nach Belgien und fertigt Zeichnungen von Schiffsmaschinen, Doks, Pumpwerken und Windmühlen an. Dies alles dient ihm als Grundlage für seine Bücher, in denen er die nach der Natur gezeichneten Maschinen mit streng mathematischen Regeln unterlegt.

Die wesentlichen Veröffentlichungen sind:
  • 1847 „Resultate für den Maschinenbau“
  • 1852 „Prinzipien der Mechanik und des Maschinenbaus“, als theoretische Maschinenlehre konzipiert.
  • 1855 „Gesetze des Lokomotivbaues“ 1857 „Das Dynamidensystem“
  • 1862 – 1865 „Der Maschinenbau“, ein Handbuch in drei Bänden, als Zusammenfassung seiner bisherigen Veröffentlichungen und Vorlesungen.

In den 50er Jahren werden Redtenbacher, dem mittlerweile ein großer Ruf voraneilt, mehrere lukrative und mit äußerlichen Würden verknüpfte Angebote unterbreitet: Er soll in Österrreich Direktor einer neu zu schaffenden großen Eisenbahnmaschinenfabrik werden. Er lehnt ab, weil er sich nicht zum Beamten geeignet fühlt und lieber Lehrer bleibt. Aber auch nicht irgendwo: einen Ruf an das Gewerbeinstitut in Berlin lehnt Redtenbacher ebenso ab wie den an das Polytechnikum in Dresden und den an das Polytechnische Institut in Zürich. Karlsruhe dankt ihm mit den besten Labor- und Lehrbedingungen zu einer beachtlichen Bezahlung und obendrein noch mit der Verleihung des Hofratstitels.

Am 18. Mai 1857 wird Redtenbacher zum Direktor der Polytechnischen Schule gewählt und führt sie zu großer Blüte. Er erneuert die Schule von innen und außen durch Pensionierungen und Neuberufungen und lässt ein eigenes, speziell konzipiertes Gebäude für die Maschinenbauschule errichten. Ergebnis dieser Veränderungen und neuen Impulse ist ein Ruf des Karlsruher Polytechnikums als eines der ersten Institute weltweit, und beschert Redtenbacher binnen weniger Jahre einen Höreranstieg auf 900 Studenten.

Ferdinand Redtenbacher erliegt am 16. April 1863 einem Magenleiden.
Einstellung zur Bildung
Redtenbacher, der selbst keine humanistische Bildung genossen hat, macht sich Zeit seines Lebens Gedanken über die Ausbildung der Jugend und insbesondere der technisch ausgebildeten oder auszubildenden Jugend und philosophiert häufig über die Allgemeinbildung von Technikern: „Meine Bestrebungen als Lehrer richten sich nicht allein auf die wissenschaftliche Theorie der Maschine, mir liegt die Kultur des industriellen Publikums im Allgemeinen am Herzen. In der Anwendung der Naturkräfte hat man in der Tat bereits eine große Virtuosität erlangt, aber an der humanen Entwicklung des Industriellen Publikums fehlt es noch sehr.“

Redtenbacher legt Wert drauf, dass seine Studenten nicht nur wissenschaftlich, sondern auch praktisch, und nicht nur technisch, sondern auch allgemein humanistisch gebildet sind. Denn das Bildungsideal in seiner Zeit, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, ist ein vorwiegend humanistisches. Redtenbacher setzt sich sehr für die Anerkennung des Standes des Industriellen oder des Technikers ein: „Einem Stand, der nicht geachtet ist, werden sich nicht leicht Menschen mit Talenten und edlerer Gesinnung zuwenden.“

Er selbst hat Zeit seines Lebens versucht, das Bildungsmanko seiner Jugend wettzumachen. Sein Kurzbiograph Friedrich von Weech in der Allgemeinen Deutschen Biographie schreibt sehr herablassend: „ … zur Ausgestaltung seiner Arbeiten war Redtenbacher, der ganz auf dem Bildungsniveau eines genialen Autodidakten stand, vielfach die nachträgliche Erwerbung elementarer Kenntnisse auf verschiedenen Gebieten des Wissens notwendig, und es hatte für die Freunde und Kollegen des bedeutenden Technikers oft etwas Rührendes, wenn ihnen aus seinem Munde wie ein neu Geoffenbartes entgegentrat, was ihnen ihr Bildungsgang als Altbekanntes zu betrachten gestattete.“

Aus Redtenbachers eigenem Munde klingt das wie folgt: „Ich habe in meinen jungen Jahren Stiefel geputzt und Papiertüten gedreht, statt die Klassiker des Altertums und der Neuzeit zu studieren. Ich habe mit mir entsetzlich zu schaffen gehabt, bis ich das in der Jugend freilich schuldlos Versäumte einigermaßen nachgeholt habe (…) ich bin immerfort neben wissenschaftlichen Studien mit literarischen Studien beschäftigt.“ (Brief an seinen Schwager 31.12.1857)
Wirkung
Bis zum Auftreten Redtenbachers ist der Maschinenbau in Deutschland eine reine Erfahrungswissenschaft oder eben nicht „-wissenschaft“. Er polemisiert gegenüber einem Kollegen brieflich: „Der Wischiwaschi der Empiriker war mir schon ekelhaft geworden. Hier steht nun alles mauerfest da, und wer´s übern Haufen werfen will, der soll sich mit harten Schädelknochen versehen.“

Redtenbacher ist von der Notwendigkeit der Mathematik als Grundlage für den Maschinenbau überzeugt. Bezüglich der Physik ist er der Meinung, dass es keine Gewissheit und kein wahres Wissen als jenes, welches mathematisch begründbar ist.

Er besteht auf einer wissenschaftlich mathematischen Vorbildung seiner Studierenden und lehrt sie, beim Bau der Dampfmaschine oder der Wasserturbine mit wissenschaftlichen Mitteln zu arbeiten. Durch gute Mischung mit der Praxis wird die Karlsruher technische Hochschule zu einer mit ausgesprochenem Wirklichkeitszweck. So wird auf der technischen Hochschule neben der wissenschaftlichen Grundlage auch eine Meisterlehre ermöglicht.

Allgemein gepriesen wird Redtenbachers Unterricht und Unterrichtsstil als lebendig, mitreißend, begeisternd und anschaulich, und dass er den Stoff in Beziehung nicht nur zur reinen Wissenschaft, sondern auch zum Leben setzt. „Seine lebhafte Art des Vortrags bedurfte der Mimik, von der er ausgedehnten Gebrauch machte, nicht absichtlich, sondern weil der ganze Körper mit dem Geiste lebte, wenn es sich um Veranschaulichung von Bewegung handelte, die man nicht durch Worte oder Zeichnungen klar machen konnte.“

„Seine wissenschaftliche Auffassung berücksichtigte immer das große Ganze, und bei der Darstellung der Beziehungen fehlte nie der Humor“.

„Generationen hervorragender Ingenieure sind aus seiner Schule hervorgegangen, und im ganzen deutschen Kulturgebiet ist das technische Unterrichtswesen nach seinen Gedanken eingerichtet worden.“ Franz Schnabel 1938