Zitzewitz Joachim

Dipl.-Ing.Foto Zitzewitz Joachim 

Forum Technik und Gesellschaft Förderpreisträger 2006
Kategorie Diplomarbeiten
1. Preis

Titel
Entwicklung und Implementierung patientenkooperativer Regelungen für die robotergestützte Gangtherapie
Kurzfassung
Mit dem Rehabilitationsroboter Lokomat kann automatisiertes Laufbandtraining von Patienten mit Gehstörungen durchgeführt werden. Im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts an der ETH Zürich und der Universitätsklinik Balgrist (CH) soll für den Roboter ein „patientenkooperativer“ Therapiemodus entwickelt werden. Der Lokomat soll dabei die Eigenaktivität des Patienten messen und diesen nur noch mit einem einstellbaren Prozentsatz der zum Gehen nötigen Kraft unterstützen: Von einer „harten“ Positionsregelung zu Beginn der Rehabilitation hin zu einer „Freilaufregelung“ für fortgeschrittene Patienten, bei der der Patient vom Roboter ungehindert natürlich gehen kann. Ziel dieser Diplomarbeit war die Entwicklung einer entsprechenden Regelung. Die Geschwindigkeit des Lokomat-Laufbands wird nun in Abhängigkeit der Scherkraft unter den Füßen des Patienten mit einer neuen Admittanzregelung gesteuert. Sensorik zur Messung dieser Kraftkomponente sowie der zugehörige Regler wurden implementiert. Damit sind selbständiges Losgehen und Anhalten sowie spontane Geschwindigkeitsänderungen intuitiv möglich. Weiters werden die Beine des Patienten mit Hilfe eines adaptiven Reglers unterstützt: Für die Standphase wird eine assistive Regelung entwickelt und implementiert. Das Kniegelenk wird dabei durch eine Impedanzregelung, ein virtuelles Feder-Dämpfer-System, stabilisiert. Das unterstützende Hüftmoment errechnet sich modellbasiert mit Abschätzung nicht bekannter Kraftkomponenten. Die Motormomente während der Schwungphase werden in Anlehnung an eine vorangegangene Arbeit ebenfalls modellbasiert berechnet. Die neue Regelung wurde mit gesunden Probanden erfolgreich getestet.
persönliche Begründung der gesellschaftlichen Relevanz
Die Fähigkeit zu Gehen ist für eine gehobene Lebensqualität, verbunden mit sozialer Eingliederung und ökonomischer Sicherheit, wichtig. Häufig wird sie jedoch durch neurologische Krankheiten beeinflusst. Vor allem eine Schädigung des zentralen Nervensystems (z.B. Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Querschnittlähmung) können zu schweren Beeinträchtigungen führen. In österreich treten pro Jahr an die 100.000 solcher Vorfälle auf. Die langwierige Rehabilitation sowie die häufigen Langzeitfolgen stellen für das Gesundheitssystem eine große Belastung dar. Daher beschäftigen sich zahlreiche Gruppen mit der Erforschung von motorischem Lernen und daraus abgeleiteten, optimierter Therapien für die Rehabilitation des Bewegungsapparats. Seit Beginn der 90er Jahre ist hierbei nicht nur in der Forschung sondern auch in der klinischen Anwendung der Einsatz von roboterunterstütztem Training eine Erweiterung, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die rehabilitativen Übungen können mit Robotern wiederholgenau durchgeführt werden, der Einsatz von Kraft- und Positionssensorik erlaubt die Evaluierung einzelner Trainingskonzepte sowie die Dokumentation des Rehabilitationsfortschritts. Mit dem Mess- und Regelungskonzept, das im Rahmen dieser Arbeit entwickelt wurde, ist nun erstmals natürliches Gehen in einem Rehabilitationsroboter möglich. Dies stellt eine hochwertige Basis für die Entwicklung neuer Ansätze für die Gangtherapie dar. Allgemein bietet die Möglichkeit der Simulation von natürlichem Gehen auf dem Laufband neue Möglichkeiten für in der Grundlagenforschung. Das Interesse internationaler Arbeitsgruppen an den Resultaten war entsprechend ausgeprägt. Aus diesem Grund verschwanden die Ergebnisse nach deren Abschluss nicht „in der Schublade“, sondern wurden in mehreren Folgeprojekten weiterentwickelt und publiziert: • Klassisches Laufbandtraining ist eine gängige Trainingsmethode in der Gangrehabilitation. Der Patient wird dabei teilweise von seinem Körpergewicht entlastet. Das Regelprinzip kann für ein derartiges Training eingesetzt werden, da die „virtuelle Masse“ des Patienten an die Gewichtsentlastung angepasst wird. Der Patient kann so die Gehgeschwindigkeit selber bestimmen und unter sicheren Bedingungen an seine Leistungsgrenze gehen. Das Regelungsprinzip wurde mit einer vereinfachten Sensorik ohne den Roboter erfolgreich getestet. • Das Training wurde um eine „multimodale virtuelle Welt“ erweitert: Der Patient läuft durch ein Szenario, das auf eine Leinwand projiziert wird. Diese Anwendung ist nur mit frei wählbarer Gehgeschwindigkeit und beliebiger Schrittlänge sinnvoll. Durch die Verwendung von VR-Methoden wird eine Steigerung der Patientenmotivation erwartet. Besonders wichtig ist dies in der Pädiatrie (ein Kinder-Lokomat ist in der Testphase). • Das Konzept für die Beinunterstützung wird überarbeitet. Der Roboter optimiert dabei über Lernalgorithmen die nötige Unterstützung. • Die Geschwindigkeitsanpassung des Laufbands beschränkt sich nicht nur auf die Simulation von normalem Gehen auf ebenem Untergrund. Ein implementiertes Tool erlaubt die Simulation beinahe beliebiger „haptischer Funktionen“: U.a. können Schnellkrafttrainingsmethoden wie z.B. das Laufen gegen ein elastisches Seil oder auf einer Steigung dargestellt werden. Die Einsetzbarkeit im Fitness- und Leistungssportsektor ist gut vorstellbar und wird derzeit überprüft. Die Mess- und Regelungstechnik für die Geschwindigkeitsanpassung des Laufbands wurde daher im Rahmen der Diplomarbeit als EU-Patent eingereicht. Zusammenfassend bieten die Resultate eine gute Grundlage für das interdisziplinäre Forschungsumfeld der Bewegungswissenschaften und der Rehabilitation der unteren Extremität.