Allesch Markus

Dipl.-Ing. Dr.techn.Foto Allesch Markus 

Forum Technik und Gesellschaft Förderpreisträger 2008
Kategorie Dissertationen
1. Preis

Titel
First principles molecular dynamics simulations of solvated biomolecules: From hydrophobic hydration to anticancer drugs
Kurzfassung
Computersimulationen nehmen heute eine zentrale Rolle in Wissenschaft und Technik ein. In der Theoretischen Physik existieren dafür präzise Algorithmen, die ausschließlich auf fundamentalen Gesetzen der Quantenmechanik beruhende Vorhersagen über elementare Eigenschaften von Molekülen und Festkörpern ermöglichen. Die vorliegende, stark interdisziplinäre Dissertation beschäftigt sich mit einer Reihe von ab initio Molekulardynamik-Simulationen zunehmender Komplexität. Am Beginn steht die Entwicklung eines neuen Modells zur Darstellung von H2O-Molekülen in Computersimulationen. Trotz der Wichtigkeit, das bedeutendste aller Lösungsmittel in ab initio Simulationen mit all seinen Eigenschaften darstellen zu können, ist dies bisher noch nicht in zufriedenstellendem Maße gelungen. Das neue H2O-Modell kommt dieser Notwendigkeit einen entscheidenden Schritt näher und zeigt deutlich bessere Übereinstimmung mit experimentellen Werten, sowohl in Bezug auf Struktur als auch für elektronische Eigenschaften. Ausgehend von diesem Modell erfolgt die Anwendung auf ein gelösten Ca2+-Ion, sowie die Moleküle Benzol und Hexafluorobenzol. Neben dem gelungenen Nachweis über die Eignung des neuen H2O-Modells für komplexere Systeme konnten in diesen Simulationen auch eine Reihe neuer Vorhersagen über Lösungseigenschaften und auftretende Wechselwirkungen getätigt werden, die aufgrund der umfangreichen Datenmenge weit über bisherige Studien hinausgehen. Die in der Arbeit vorgestellte Simulation von 152 Pikosekunden ist die längste jemals berechnete ab initio Molekulardynamik-Simulation und wurde auf einigen der weltgrößten Parallelrechner am Lawrence Livermore National Laboratory in den USA durchgeführt. Als weitere Anwendung erfolgte die dynamische Simulationen von Phosphoramide Mustard, dem aktiven Wirkstoff eines der bedeutendsten Krebsmedikamente, Cyclophosphamide. Langfristiges Ziel dieses Forschungsprojekts ist die Klärung des exakten Wirkungsmechanismus auf molekularer Ebene, als erster Schritt in der Entwicklung analoger Wirkstoffe mit größerer Effizienz und drastisch verringerten Nebenwirkungen.
persönliche Begründung der gesellschaftlichen Relevanz
Die besondere gesellschaftliche Relevanz der eingereichten Arbeit besteht in der verwirklichten Kombination von wissenschaftlicher Exzellenz, Interdisziplinarität, internationaler Kooperation und dem gelungenen Brückenschlag von physikalischer Grundlagenforschung zu medizinischer Praxis. Die Qualität der eingereichten Dissertation wird durch die daraus entstandenen wissenschaftlichen Publikationen in internationalen referierten Fachzeitschriften deutlich. Insgesamt erschienen vier Artikel in englischsprachigen Journals: “A First Principles simulation of rigid water”, M. Allesch, E. Schwegler, F. Gygi and G. Galli; J. Chem. Phys. 120, 5192 (2004), ebenfalls erschienen im Virtual Journal of Biological Physics Research; “A First Principles Molecular Dynamics study of Calcium in Water”, F. C. Lightstone, E. Schwegler, M. Allesch, F. Gygi and G. Galli; ChemPhysChem 6, 9, 1745 (2005); “Structure of Hydrophobic Hydration of benzene and hexafluorobenzene from first principles”, M. Allesch, E. Schwegler and G. Galli; J. Phys. Chem. B 111, 1081 (2007); “First principles and classical molecular dynamics simulations of solvated benzene”, M. Allesch, F. C. Lightstone, E. Schwegler and G. Galli; J. Chem. Phys. 128, 014501 (2008). Eine weitere Publikation mit dem Titel “The activation reaction of phosphoramide mustard anticancer drugs from first principles” befindet sich in Vorbereitung. Die Ergebnisse wurden weiters in Form von Contributed Talks beim March Meeting der Amercian Physical Society 2004, 2006 und 2007 vorgestellt sowie in Form von Seminarvorträgen an mehren Universitäten und Arbeitsgruppen. Die Dissertation wurde von beiden Gutachtern mit „Sehr Gut“ beurteilt. Der Abschluss des Doktoratsstudiums erfolgte durch eine Promotion sub auspiciis praesidentis rei publicae. Die Interdisziplinarität der Doktorarbeit ergibt sich durch die Anwendung physikalischer Simulationsmethoden auf aktuelle Probleme der Biologie, Chemie und Pharmazie bzw. Medizin. Dabei werden Algorithmen aus der Computerphysik (Molekulardynamik) basierend auf quantenmechanischen Modellen der Theoretischen Physik (Dichtefunktionaltheorie) benutzt zur Lösung von Fragen der Molekularbiologie (gelöstes Kalzium-Ion), der physikalischen Chemie (Struktur von Wasser, Lösung von Benzol und Hexafluorobenzol) und Pharmazie bzw. Chemotherapie (Aktivierung des Krebsmedikamentes Cyclophosphamid). Die Durchführung der gesamten Arbeit während der drei Jahre des Doktoratsstudiums erfolgte in Form einer internationalen Kooperation, etwa zur Hälfte an der Quantum Simulations Group am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien und am Institut für Theoretische Physik - Computational Physics der TU Graz. Die Abstützung auf das LLNL war zur Erfüllung des Forschungsvorhabens unbedingt notwendig, weil an der Open Computing Facility des LLNL ausreichend Rechenkapazität auf parallelen Clustern verfügbar war, die in Europa für derart rechenintensive Simulationen in diesem Umfang nicht zur Verfügung stand. Das LLNL ist auf dem Gebiet des Supercomputing weltweit seit Jahren führend und verfügt über die leistungsfähigsten Parallelrechner der Welt. Die langjährige Erfahrung der Quantum Simulations Group (Prof. Giulia Galli) am LLNL auf dem Gebiet der ab initio Molekulardynamik-Simulationen war zudem äußerst wertvoll und unverzichtbar bei der Durchführung der umfangreichsten bisher publizierten ab initio Simulationen. Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit im Rahmen der Projekte und den erfolgten Wissenstransfer an die TU Graz konnte ein neues Forschungsgebiet am Institut für Theoretische Physik aufgebaut werden. Die Zusammenarbeit mit dem LLNL in den USA wird dabei auf jeden Fall bestehen bleiben und durch Forschungsaufenthalte und neue Projekte in der Praxis weiter belebt werden. Der gelungene Brückenschlag von physikalischer Grundlagenforschung zu medizinischer Praxis zeigt auch einer breiteren öffentlichkeit die Wichtigkeit abstrakter physikalischer Methoden und Algorithmen als Fundament für angewandte Forschung. Während die meisten grundlagenorientierten Arbeiten nicht zugleich die Anwendungsmöglichkeiten aufzeigen, so gelang es in der eingereichten Arbeit sowohl die Simulationstechnik methodisch weiter zu entwickeln (z.B. starres Wasser-Modell) als auch erfolgreiche Anwendungen auf völlig neuen Gebieten zu zeigen (Krebsmedikament).