Die Titelfrage

Wie akademische Titel für Techniker entstanden

Mit der Einführung der ersten und zweiten Staatsprüfung 1878 war die Standardisierung eines „abgeschlossenen Studiums“ an den Technischen Hochschulen erreicht – mit einer Ausnahme: Es fehlte noch die öffentliche Sichtbarkeit und Anerkennung in Form eines Titels.

Ein erster Versuch dazu war die bereits im Statut von 1865 vorgesehene Möglichkeit, für zusätzliche strenge Prüfungen am Ende des Studiums ein Diplom zu erhalten. Der „diplomierte Ingenieur“, den man auf diesem Weg erwerben konnte, wurde so 1867 zum ersten verliehenen Titel der Technischen Hochschule, insgesamt jedoch, da das Diplom zu nichts außer der Führung des Titels berechtigte, nicht angenommen – nur einzelne Studierende legten diese Prüfungen ab.

Erst der „Doktor der technischen Wissenschaften“, vergeben ab 1901 nach preußischem Vorbild und geregelt in einer eigenen Rigorosen-Prüfungsordnung, stieß auf mehr Akzeptanz und wurde am 14.11.1901 an der Technischen Hochschule Graz sogar zum ersten Mal in der gesamten Monarchie verliehen. Doch das „Doktoratsstudium“ mit rein akademischer Abschlussprüfung blieb trotzdem eher die Ausnahme.

Das üblichere Studium mit Abschluss durch die 2. Staatsprüfung vor einer gemischten Kommission aus Professoren und staatlichen Prüfern wurde mit der (erst seit 1917 gesetzlich geschützten) Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung „Ingenieur“ verbunden. Dieses Recht wurde seit 1928 seinen Trägern in einer eigenen persönlichen Urkunde bestätigt, die bald darauf auch in einer eigenen akademischen Feier („Graduierung“) überreicht wurde. Zu dieser Zeit kamen österreichweit auch wieder die seit Kaiser Joseph II. verbotenen Talare als Festkleider der akademischen Funktionäre in Gebrauch.

Der verliehene Titel hieß seit 1938 für die ingenieurwissenschaftlichen Studien „Diplom-Ingenieur“ (nach reichsdeutschem Recht ein akademischer Grad). Für die naturwissenschaftlichen Studien waren ab dieser Zeit eigene Titel vorgesehen. Im Fall der Technischen Hochschule Graz war dies ausschließlich für das Studium der Technischen Chemie relevant, für einen Abschluss dieses Studiums wurde bis 1945 der Titel „Diplom-Chemiker“ (Dipl.-Chem.) verliehen, danach jedoch ebenfalls der Titel „Diplom-Ingenieur“. Die an sich gesetzlich vorgesehene Rückkehr zur Rechtssituation vor dem Krieg (und damit zum Titel „Ingenieur“) unterblieb zur Unterscheidung der Hochschulabsolventen von den Absolventen anderer (mittlerer) Schultypen, die ebenfalls das Recht hatten, den Ingenieurtitel zu tragen. Die erforderliche gesetzliche Reparatur, die die Vergabe des „Diplom-Ingenieurs“ für alle Absolventinnen und Absolventen der Technischen Hochschulen vorsah, erfolgte 1948, allerdings galt der Titel damit nach österreichischer Rechtstradition wieder als Standesbezeichnung, erst seit 1969 gilt er endgültig als akademischer Grad.

Das System der Staatsprüfungen existierte formal bis zum 30. September 1997, also über fast 120 Jahre, wurde jedoch ab Mitte der 1970er Jahre aufgrund der damals neuen Hochschul-Gesetzgebung (Allgemeines Hochschul-Studiengesetz 1966, Technik-Studiengesetz 1969) großteils durch die neuen „Diplomprüfungen“ ersetzt, die kombiniert mit einer „Diplomarbeit“ nur mehr aus zwei Fächern bestanden und nur mehr vor akademischen Lehrern abzulegen waren. Da die Staatsprüfungen im Gegensatz dazu umfangreicher waren (praktische und theoretische Prüfung), wechselten die meisten Studierenden rasch freiwillig in die neue Studienordnung, obwohl sie bis 1997 formal berechtigt waren, das Studium nach der zur Zeit ihres Studienbeginns gültigen Studienordnung abzuschließen.

Aus den gesetzlichen Reformen Ende der 1960er Jahre stammt auch die heutige Gewichtung des Doktoratsstudiums als „höherwertiges“ Studium, das erst nach einem abgeschlossenen Diplomstudium begonnen werden kann. Davor konnte Staatsprüfung und Rigorosum in beliebiger Reihenfolge abgelegt werden und es gab immer wieder Personen, die den Doktortitel vor dem Titel Diplom-Ingenieur erwarben oder überhaupt nur den Doktortitel.

Titelvielfalt in neuerer Zeit

Mitte der 1980er Jahre verließen neben Diplomingenieuren und Doktoren der Technischen Wissenschaften erstmals auch Absolventinnen und Absolventen von Lehramtsstudien die Technische Universität Graz, und zwar aus Darstellender Geometrie bzw. aus Physik, beide mit dem Titel eines „Magister rerum naturalium“ (Mag.rer.nat.).

Mit der Umstellung auf das Bachelor-/Master-System wurden wiederum neue Titel an der TU Graz vergeben: zunächst der „Bakkalaureus technicus“ (Bakk.techn., erstmals im Sommersemester 2001 im Bereich der Telematik), dann der „Bakkalaureus rerum sociarum oeconomiumque“ (Bakk.rer.soc.oec., erstmals im Sommersemester 2005 für das Studium „Softwareentwicklung und Wissensmanagement“), beide inzwischen wieder abgelöst durch den „Bachelor of Science“ (BSc, erstmals verliehen im Wintersemester 2006/07 im Studium „Bauingenieurwesen, Umwelt und Wirtschaft“).

Nach abgeschlossenen Master-Studien wird in der Regel weiterhin der Titel „Diplom-Ingenieur“ verliehen, allerdings gibt es auch den „Master of Science“ (MSc, erstmals im Rahmen des Studiums „Erdwissenschaften“ im Wintersemester 2008/09 verliehen).

Eine gewisse Mehrdeutigkeit ist hier dadurch gegeben, dass der „Master of Science“ heute auch für abgeschlossene Universitätslehrgänge verliehen wird, nachdem man in diesem Bereich zunächst mit dem „Master of Advanced Studies“ (MAS) experimentiert hatte (erstmals im Sommersemester 2001 verliehen für den Universitätslehrgang „Environmental Engineering and Management“). Auch im postgradualen Ausbildungssegment haben sich damit die Anglizismen durchgesetzt, nachdem noch in den 1990er Jahren die deutschsprachigen Titel „Diplom-Umwelttechniker“ und „Diplom-Wirtschaftstechniker“ (für Absolventinnen und Absolventen der damals bestehenden „Aufbaustudien“ „Technischer Umweltschutz“ bzw. „Betriebs-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften“) verliehen worden waren.