Vorgeschichte, Gründung, Aufbau und Entwicklung der TU Graz im Zeitstrahl

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Fünfte Etappe: Akademische Anerkennung: der Doktortitel für Ingenieure und der Schutz des Ingenieurtitels

In den 1890er Jahren vollzog sich international der letzte Schritt der Verwissenschaftlichung der Technik: Nachdem zunächst zu Beginn des Jahrhunderts die Technik immer mehr als ein „generelles“ Phänomen begriffen wurde, als etwas allen einzelnen Techniken Gemeinsames, das auch gemeinsam unterrichtet werden konnte (daher der Name „Polytechnikum“ für die ersten Schulen der allgemeinen Technik), und sich um die Mitte des Jahrhunderts diese „gemeinsame“ Technik wieder in einzelne Fächer differenzierte, rückte nun am Ende des Jahrhunderts erstmals die technische Forschung in den Mittelpunkt des Interesses.

Dies ergab sich einerseits aus der Positionsbestimmung der Technischen Hochschulen im Vergleich zu den Universitäten: Beide waren als höhere Lehranstalten im Lauf der Jahre in der inneren Organisation immer weiter angeglichen worden, vertraten jedoch inhaltlich ein völlig konträres Wissenschaftsideal: Während die Universitäten auf der Suche nach allgemeinen Zusammenhängen des Daseins von konkreten Zwecken und Anwendungen möglichst abstrahieren wollten, um Verfälschungen der allgemeinen Prinzipien durch bloß „zufällige“ konkrete Umstände sicher auszuschließen, war für die Technischen Hochschulen die Anwendung des vermittelten Wissens der eigentliche Zweck ihrer Existenz. Die Wissenschaftlichkeit der Technik bewies sich gerade in der Erforschung konkreter Praxis.

Die Möglichkeiten der Demonstration von Anwendungen waren aber an den Technischen Hochschulen begrenzt. Außer einigem Anschauungsmaterial in den Lehrmittelsammlungen gab es die Möglichkeit zum Experimentieren in der Regel nur im chemischen Laboratorium. Der Unterricht im Bauingenieurwesen und vor allem im Maschinenbau passierte weitgehend rein theoretisch.

In dieser Situation übten die Weltausstellungen, vor allem die Ausstellung von Chicago 1893, eine ungeheure Faszination auf die europäischen Techniker aus. Man staunte über den Entwicklungsstand der amerikanischen Industrie und forderte sofort aus Konkurrenzgründen die Einrichtung von modernen, leistungsfähigen Laboratorien für Maschinenbau und Elektrotechnik an den europäischen Technischen Hochschulen. Nur so glaubte man konkurrenzfähig bleiben zu können und dem eigenen Anspruch der Wissenschaftlichkeit zu genügen. Der Verein Deutscher Ingenieure setzte das Thema auf die Tagesordnung seiner Hauptversammlung in Aachen und beschloss entsprechende Forderungen mit der Stimme der in der Praxis tätigen Ingenieure. Darauf entstand das erste Maschinenbaulaboratorium an einer Hochschule im deutschen Raum bereits 1896 an der Technischen Hochschule Charlottenburg (Berlin).

Der Leiter dieses Labors war Prof. Alois Riedler, ein geborener Grazer und Absolvent des Maschinenbaus der Technischen Hochschule Graz, der zusammen mit einigen Personen, die direkten Zugang zum deutschen Kaiser Wilhelm II. hatten, von diesem die Zuerkennung des Promotionsrechts für die preußischen technischen Hochschulen erreichen konnte. Der äußere Anlass war das 100-Jahr-Jubiläum der Technischen Hochschule Berlin 1899 - Alois Riedler war zu dieser Zeit deren Rektor.

Dieser Vorgang wurde beispielgebend für Österreich-Ungarn, wo das Promotionsrecht für die technischen Hochschulen von Kaiser Franz Joseph im Frühjahr 1901 verliehen wurde. Der Titel selbst wurde an der Technischen Hochschule Graz erstmals am 14.11.1901 verliehen, damit sogar zum ersten Mal in der gesamten Monarchie, und zwar an Johann Löschner.

Die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung „Ingenieur“ wurde dagegen in Österreich-Ungarn erst von Kaiser Karl 1917 gesetzlich geregelt und damit unter Schutz gestellt.

Wolfgang Wallner