Vorgeschichte, Gründung, Aufbau und Entwicklung der TU Graz im Zeitstrahl

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Achte Etappe: Technokratischer Fortschrittsglaube und soziale Innovation

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war eine neue Zeit angebrochen. Eine der ersten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die dies frühzeitig erkannte, war der 1948 zum steirischen Landeshauptmann gewählte Josef Krainer senior. Er entwickelte sich zum vehementen Förderer der Technischen Hochschule und der steirischen Hochschulen insgesamt.

Internationale Kontakte
An der Hochschule selbst ging es nach der ersten Phase des Wiederaufbaues insbesondere darum, Anschluss an die neuen technischen Entwicklungen zu finden. Dies versuchte man zunächst durch bewusste Öffnung zur internationalen Wissenschaft. Der Start dazu erfolgte bereits im August 1948 mit der Veranstaltung einer pulvermetallurgischen Tagung mit 100 anwesenden Vertretern aus 18 ausländischen Nationen.
Im Juli 1950 folgte der erste internationale Kongress für Mikrochemie bereits mit fast 600 Teilnehmern aus 22 Staaten, im Juli 1953 eine internationale papiertechnische Tagung mit knapp 300 Teilnehmern aus Europa und Übersee. Daneben fand eine Reihe von Veranstaltungen an dem seit 1947 bestehenden Außeninstitut statt.

Neue Ausstattung
Die Modernisierung der Hochschule erforderte aber auch Investitionen in die Infrastruktur. Das Geld dazu kam einerseits aus dem Marshall-Plan der USA zum Wiederaufbau Europas (ERP-Fonds), andererseits eben vom Land Steiermark, zum Teil auch bereits von der Industrie. So konnten nach dem Krieg folgende Meilensteine der Technikentwicklung in der Steiermark realisiert werden, die zum Teil allen steirischen Hochschulen offen standen:

  • 1951 eine Forschungsstelle für Elektronenmikroskopie mit dem ersten steirischen Elektronenmikroskop finanziert über eine Industriespende
  • 1953 ein Laboratorium für Papier- und Zellstofftechnik aus ERP-Mitteln
  • 1956 ein Stoßspannungslaboratorium aus ERP-Mitteln
  • 1963 eine Anstalt für Tieftemperaturforschung
  • 1965 ein Versuchsreaktor für Kernforschung
  • 1966 ein Rechenzentrum
  • 1976 ein Observatorium

Ein neuer Campus entsteht
Diese Aktivitäten führten zu umfangreichen Baumaßnahmen, die sich zunächst (1950er Jahre) auf die ca. 30.000m2 umfassenden Schörgelhof-Gründe konzentrierten, ein Gelände, das unmittelbar an die Neue Technik anschloss und früher vom Militär verwendet worden war. Hier wurden 1961 ein Chemiegebäude samt zugehörigem Heizkraftwerk, 1964 ein Wasserbaulaboratorium und dann 1978 das Physikgebäude bezogen. Jenseits der Steyrergasse wurde vom Land Steiermark das Gebäude für das Rechenzentrum und den Kernreaktor 1965/66 eröffnet.

Bereits um 1960 wurde aber klar, dass die Schörgelhof-Gründe für die Ausbauplanung der Technischen Hochschule, insbesondere im Bereich Maschinenbau und Elektrotechnik, nicht ausreichen würden. Es konnte mithilfe des Landes Steiermark ein ca. 100.000m2 großes Areal in St.Peter – der heutige Campus Inffeld – für die Technische Hochschule erworben werden. Dort wurden Anfang 1972 als Erstes ein Hochspannungslabor samt Institutsgebäude sowie ein Gebäude für Elektronik und Nachrichtentechnik in Betrieb genommen.

Ende der 1960er Jahre wurde das knapp 80 Jahre alte Chemiegebäude in der Technikerstraße abgerissen. An seine Stelle sollte eine Erweiterung des Hauptgebäudes bis zur Mandellstraße treten. Realisiert wurde zunächst ein vom Hauptgebäude abgetrennt liegender Teil (eröffnet 1969) und die daran anschließende Bibliothek der Technischen Hochschule (eröffnet 1975). Die Verbindung zum Hauptgebäude konnte erst nach Abbruch des 1922 an das Hauptgebäude angebauten Physik-Hörsaales in Angriff genommen werden, kam aber wegen einer Bürgerinitiative nicht mehr zustande. Ein angemietetes Gebäude in der Krenngasse dient seit den späten 1960er Jahren bis heute als dauernder „Puffer“ zum Ausgleich von Raummängeln aller Art.

Technisierung der Gesellschaft und Sozialisierung der Technik
Zur inhaltlichen und räumlichen Erweiterung kam die personelle. Die 1960er Jahre brachten die größte Steigerung des wissenschaftlichen Personals seit Gründung der Hochschule, interessanterweise jedoch – abgesehen vom Studium der Technischen Physik (erste Absolventen 1964) und der Umbenennung des Studiums der Papier- und Zellstofftechnik in Verfahrenstechnik – keine neuen Studienrichtungen (1972 folgten dann die ersten Absolventen aus „Technischer Mathematik“). Die heute weitgehend selbstverständliche Technisierung der Gesellschaft wurde damit zwar in den  traditionellen technischen Unterrichtsfächern sichtbar, die Öffnung zur Gesellschaft erfolgte aber nicht oder nur teilweise und zudem nicht ganz freiwillig.

In den späten 1960er Jahren hatte man in der österreichischen Regierung die Idee, auf die internationalen Studentenproteste mit Höhepunkt 1968 mit einer Organisationsreform der Hochschulen zu reagieren. An der Technischen Hochschule Graz wurde aus Eigeninitiative parallel zu den Planungen des Ministeriums bereits im Juni 1970 eine „Kommission für Hochschulreform“ eingesetzt, deren erste Aufgabe die Ausarbeitung eines Memorandums zur Reform der Hochschulen war, das am 22.10.1970 vom Gesamtkollegium einstimmig angenommen und an der TH Graz bis zum Inkrafttreten des neuen Organisationsgesetzes 1975 praktiziert wurde. Das Memorandum sah u.a. einen Hochschul-Beirat als Bindeglied zwischen Hochschule und allgemeiner Öffentlichkeit vor – ein Modell, das dann bei der übernächsten Reform 1993 österreichweit für 10 Jahre bis 2003 Gesetz wurde.

In den Jahren 1974/75 eskalierte die Diskussion um die Neuordnung der Hochschulen und führte an der Technischen Hochschule Graz zum vorzeitigen Rücktritt des amtierenden Rektors – übrigens dem einzigen Rücktritt eines Hochschulrektors in ganz Österreich, obwohl die Hochschulrektorenkonferenz den kollektiven Rücktritt aller Rektoren als Reaktion auf das neue Gesetz beschlossen hatte.

Das Gesetz wurde im April 1975 dennoch beschlossen und bis 1980 umgesetzt. Es bedeutete das Ende der alleinigen Entscheidungsmacht der Professoren im hochschulautonomen Bereich, der bei einer früheren Reform 1955 auch an den technischen Hochschulen wieder eingeführt worden war, und sah ausgedehnte Mitbestimmungsrechte für Assistenten und Studierende vor. Gleichzeitig wurde die bisherige Technische Hochschule in „Technische Universität Graz“ umbenannt und erhielt 1976 den selbstgewählten Zweitnamen „Erzherzog-Johann-Universität“.

Reform des Studienrechts
Wenige Jahre zuvor war zum ersten Mal seit den 1870er Jahren das Studienrecht der österreichischen Hochschulen vereinheitlicht worden. Seither konnte man im Bereich der Technik nicht mehr den Doktor der technischen Wissenschaften nach bestandener akademischer Prüfung mehr oder weniger zeitgleich mit dem Diplomingenieur nach bestandener Prüfung vor einer staatlichen Prüfungskommission erwerben, sondern musste für das Doktorat nach dem Diplomstudium einen eigenen Studienabschnitt belegen. Zum Ausgleich dafür und quasi als Abschluss der 100jährigen Periode der Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit den Universitäten wurde der seit 1917 geschützte Berufstitel „Ingenieur“ (seit 1938 „Diplom-Ingenieur“) mit dem Technik-Studiengesetz 1969 ein gesetzlich anerkannter akademischer Grad, verliehen von der Technischen Universität in Autonomie.

Technikkritik und alternative Technik
Der Gedanke breiter Mitbestimmung wurde nicht nur geplant innerhalb der Universitäten realisiert, sondern gewann ungeplant auch in der Politik an Attraktivität.

Die erste diesbezügliche Erfahrung in neuerer Zeit machte ein Absolvent der TU Graz in seiner Rolle als langjähriger Grazer Bürgermeister. Als er 1973 die Trassierung der Pyhrnautobahn im Stadtgebiet von Graz westlich des Hauptbahnhofes erzwingen wollte, musste er einer Bürgerinitiative weichen und zurücktreten.

Sein Nachfolger als Bürgermeister, ebenfalls Absolvent der TU Graz, etablierte mit der Einrichtung des „Büros für Bürgerinitiativen“ im Magistrat Graz eine erste Organisationsform der Bürger-Partizipation in Österreich. Die Thematik verselbständigte sich jedoch, insbesondere im Gefolge der Ölkrise 1973/74, über Zukunftsfragen der Energieversorgung zunehmend in Richtung alternative Zukunftsentwürfe.

1978 griff das Kulturfestival „Steirischer Herbst“ das Thema mit einer mehrtägigen Veranstaltung „Umkehr in die Zukunft“ auf, die aus Anlass der Eröffnung des Physikgebäudes an der Technischen Universität stattfand – passend in der Woche nach der Volksbefragung zum Kernkraftwerk Zwentendorf, die zu dessen dauerhafter Nicht-Inbetriebnahme führte. Unmittelbar im Anschluss wurde unter wesentlicher Beteiligung eines weiteren Absolventen der TU Graz die „Erklärung von Graz für solidarische Entwicklung“ vorgestellt, und zwar im Rahmen eines ersten „Gesamtösterreichischen Alternativentreffens“. Mehrere derartige Treffen mündeten schließlich 1982 in der Gründung der „Alternativen Liste Österreich“, einer Vorgänger-Partei der heutigen „Grünen“.

Wolfgang Wallner